Immer mehr Betriebe in der Schweiz testen die Viertagewoche. Mirjam Brunner von der Gewerkschaft Unia berichtet laut dem Schweizer Radio und Fernsehen SRF, dass überall in der Schweiz Unternehmen in den letzten Monaten die Vier-Tage-Woche ausprobiert haben.
«Es gibt die unterschiedlichsten Betriebe, die einen Weg finden, um eine Viertagewoche mit kürzeren Arbeitszeiten einzuführen und die damit erfolgreich sind.»
Brunner sieht die Sache auch sehr fair, denn die Produktivität sei in der Wirtschaft in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als die Löhne. Bei Präsenz- oder Ladenöffnungszeiten könnte das Modell jedoch schwierig einzuführen sein, gibt Jonas Lehner vom Arbeitgeberverband zu bedenken.
Kann die Vier-Tage-Woche die Produktivität steigern?
Der technologische Fortschritt hat mehrere Schweizer Unternehmen dazu veranlasst, die Arbeitswoche für Beschäftigte auf vier Tage zu reduzieren. Auch Addvanto, eine Agentur für digitales Marketing, hat das Modell erfolgreich getestet. Der CEO, Stefan Planzer, berichtet auf dem Schweizer KMU Portal, dass die 4-Tage-Woche die Attraktivität als Arbeitgeber gesteigert habe, was zu mehr Bewerbern geführt hat. Für den Notfall gab es vor der Umstellung auch einen Plan B, also einen Plan, wie man wieder zur 5 Tage-Woche zurückkehren könnte.
Planzer hatte seinen Mitarbeitern zunächst selbst überlassen, welchen Tag in der Woche sie zusätzlich frei machen wollen. Das hat aber zu Problemen geführt und den Fortschritt der Projekte häufig behindert und die Betreuung der Kunden kompliziert gemacht. In der Folge hat sich das Team auf einen gemeinsamen freien Tag geeinigt.
Produktivität lässt sich nicht immer mit Daten und Fakten belegen. Es ist schwer, relevante Aspekte im Rahmen der verbesserten Work-Life-Balance zu messen. Wer allerdings weniger gestresst zur Arbeit geht, motivierter und auch gesünder ist, arbeitet in der Regel produktiver. Für die Schweizer würde die Verkürzung auf vier Tage bedeuten, dass die Normalarbeitszeit von 42 Stunden auf 4 x 10,5 Stunden verteilt werden muss. Mit Pause wären das Arbeitstage von jeweils 11,5 Stunden.
Ob dies zu verbesserter Produktivität führt, ist auch in der Schweiz bislang nicht ausreichend belegt. Es mangelt genau wie in Deutschland an repräsentativen Studien.
Ausgeglichene Arbeits- und Ruhezeiten sind Teil des Gesundheitsschutzes, da sie sowohl Übermüdungserscheinungen als auch mit der Müdigkeit zusammenhängende Unfälle verhindern. Sie garantieren den Arbeitnehmenden ein soziales Leben, indem beispielsweise der Sonntag als Ruhetag festgelegt wird. Das Arbeitsgesetz legt die Mindestruhezeiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Gestaltung der Schichtpläne fest. Quelle: Sekretariat für Wirtschaft SECO
Ruhezeitvorschriften machen die Sache in der Schweiz kompliziert
Gemäss den in der Schweiz geltenden Ruhezeitvorschriften müssen zwischen zwei Arbeitstagen bzw. Schichten eine tägliche Ruhezeit von 11 Stunden liegen. Teilt man seine 4-Tage-Woche mit dem Modell des Lohnerhalts nun auf nur vier statt 5 Tage auf, könnte diese Vorgabe nicht einzuhalten sein. Bei speziellen Anforderungen, etwa bei der Wochenendarbeit, kommt hinzu, dass eine zusammenhängende Ruhezeit von 35 Stunden zu gewähren ist.
Die Gesetze sind streng in der Schweiz. Der Artikel 18 – 20a ArG, 21 ArGV 1 sieht vor, dass die 11 Stunden tägliche Ruhezeit plus der 24 Stunden am Sonntag eine Ruhezeit von Samstag, 23 Uhr bis Sonntag, 23 Uhr einschliessen muss. Die Überzeiten sind genau wie die Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten im Arbeitsgesetz festgehalten. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit darf 45 Stunden in Dienstleistungsbetrieben nicht übersteigen.
Der gesetzliche Rahmen macht es unter Umständen schwierig, die 4-Tage-Woche zu realisieren. Denn die Normalarbeitszeit von 42 Stunden lässt sich theoretisch auf vier Tage aufteilen. Mit den geltenden Ruhezeitvorschriften ist aber eine hohe Disziplin notwendig. Dabei geht es nicht nur um die Einhaltung der Gesetze, sondern auch um die Vereinbarung von Privat- und Arbeitsleben unter einem funktionierenden Gesundheitsschutz.
In der Schweiz würde das Modell einer Vier-Tage-Woche und einer Normalarbeitszeit von 42 Stunden 10.5 Stunden Arbeit pro Tag und eine Pause von einer Stunde beinhalten. Der Arbeitstag wäre also 11.5 Stunden lang. Bei einer täglichen Ruhezeit von 11 Stunden, würden genau noch 2.5 Stunden zwischen Arbeits- und Ruhezeit übrigbleiben. Quelle: Kaufmännischer Verband Schweiz
Auch wenn viele die 4-Tage-Woche befürworten, von einer flächendeckenden Einführung ist auch die Schweiz wohl noch weit entfernt.
Schwierige Realisierung der „kurzen“ Arbeitswoche
Ursula Häfliger vom Kaufmännischen Verband Schweiz nimmt die Unternehmer in die Pflicht und sagt laut dem SRF, dass die Betriebe auch ihre Prozesse anpassen müssen. Mit Präsenz- und Ladenöffnungszeiten sieht die Expertin, wie viele andere auch, grosse Herausforderungen verbunden. Dort, aber auch in anderen Bereichen, gibt es viel Teilzeitarbeit.
Die Pensenreduktion hat bereits in vielen Branchen des Dienstleistungssektors zu einer Dreitage- oder Viertagewoche geführt. Eine weitere Reduktion wäre auch unter finanziellen Aspekten für den Großteil der Beschäftigten kaum tragbar. Ausserdem ist die Skepsis bei den Beschäftigten recht gross, wie die nachfolgende Grafik zeigt. Leider ist auch diese nicht repräsentativ, sodass keine verlässlichen Daten vorliegen.
Erste Pilotprojekte zeigen unterschiedliche Ergebnisse
Eine signifikant positive Veränderung zeigte sich, die sich hauptsächlich durch die zusätzliche Freizeit ergab. So äussert sich Studienleiterin Prof. Dr. Julia Backmann, Wirtschaftswissenschaftlerin, nach Vorstellung der Ergebnisse aus einer sechsmonatigen Pilotphase. Die Non-Profit-Organisation Intraprenör und die Organisation „4 Day Week Global“ führten unter dem Dach der Universität Münster diese spannende Studie durch.
64 Prozent der Mitarbeitenden aus den teilnehmenden Betrieben der Studie äusserten vor Beginn vor allem den Wunsch nach mehr Zeit mit der Familie. Nach Abschluss der Pilotphase lag ihr Wert nur noch bei 50 Prozent. 60 Prozent der Befragten gaben an, dass sie die 4-Tage-Woche zur Optimierung von Prozessen und weniger Ablenkung angeregt hat. Für Unternehmen ergibt sich hieraus ein Ansatz zur Veränderung der bestehenden Abläufe und Strukturen, die auch ohne die Umstellung auf eine 4-Tage-Woche zu mehr Effizienz und Zufriedenheit von Beschäftigten führen könnten.
Der Stresslevel reduzierte sich bei den Teilnehmern ebenfalls signifikant, wie die obere Grafik zeigt. Die Teilnehmer trugen dafür Smartwatches, deren Ergebnisse ebenfalls in die Auswertung der Studie einflossen. Am Ende wollten 73 Prozent der Betriebe die Viertagewoche beibehalten. Eine weitere Betreuung dieser Betriebe ist aber über das Studienende nicht vorgesehen. Es kann also am Ende niemand sagen, wie nachhaltig deren Entscheidungen sind und wie es mit der Produktivität und Motivation im Betrieb weitergeht.
Pilotprojekt in der Schweiz startet 2025
Für die Schweiz gibt es ein ähnliches Pilotprojekt, ebenfalls mit der Non-Profit-Organisation 4 Day Week Global und initiiert von der Hailperin Beratung. Der Anmeldezeitraum ist noch bis 31. Dezember 2024 offen, dann geht es in die Planungsphase und das Onboarding. Ab April 2025 bis September 2025 läuft dann die Testphase und ab ca. November 2025 soll es zur Auswertung und Veröffentlichung der Ergebnisse kommen.
Wir halten Sie auf dem Laufenden und werden über die Ergebnisse der Studie in der Schweiz gegen Ende des kommenden Jahres berichten.